Das Thema Ferkelkastration beschäftigt uns nun schon seit Jahren – jedoch je näher der 01.01.2019 rückt, desto hitziger werden die Diskussionen. Ich merke, dass sich immer mehr Menschen in diese Diskussion einbringen – das ist wichtig und richtig. Jedoch sehe ich auch, dass immer mehr Dinge durcheinander geraten. Deswegen möchte ich hier einmal ein paar Fakten zum Thema „Ferkelkastration“ zusammentragen.
Warum werden Ferkel überhaupt kastriert?
Eber produzieren männliche Geschlechtshormone und geschlechtsspezifische Ebergeruchsstoffe. Diese werden über das Blut in den ganzen Körper, auch in das Muskelfleisch, verteilt. Wird das Fleisch erhitzt, kann dies zu unangenehmen Geruchs- und Geschmacksveränderungen führen. Das Fleisch hat den typischen „Ebergeruch“. Viele Menschen empfinden diesen Geruch als unangenehm, so dass das Fleisch für diese Menschen ungenießbar wird.
Wie wird bislang kastriert?
Im Moment ist es noch erlaubt, die Ferkel innerhalb der ersten acht Lebenstag ohne Betäubung, d.h. bei vollem Bewusstsein, zu kastrieren. Die Branche hat 2008 die sogenannte „Düsseldorfer Erklärung“ verabschiedet. Das Ziel der Erklärung ist, unter Ausschluss jeglicher Risiken für die Verbraucher und die Tiere, auf die Kastration gänzlich verzichten zu können. Bis zum Erreichen dieses Ziels soll die Ferkelkastration in Verbindung mit einem schmerzstillenden Mittel durchgeführt werden. Dieses ist seit April 2009 für Betriebe, die durch QS zertifiziert sind, verpflichtend. Hier heißt es im Leitfaden Schwein:
Es müssen Schmerzmittel zur Linderung von postoperativen Schmerzen nach der Kastration von Saugferkeln eingesetzt werden.
Eine Gabe von Schmerzmitteln nach der Kastration ist natürlich besser als ohne, allerdings wäre es viel besser, diese schon 15-20 Minuten vor dem Eingriff zu verabreichen. Nur dazu später mehr.
Was soll sich nun ändern?
Damit soll nun Schluss sein: im Tierschutzgesetz ist eine Deadline für die betäubungslose Ferkelkastration gesetzt. Ab dem 01.01.2019 dürfen Ferkel nur noch unter Betäubung oder „lokaler Schmerzausschaltung“ kastriert werden:
An einem Wirbeltier darf ohne Betäubung ein mit Schmerzen verbundener Eingriff nicht vorgenommen werden. (…) Dies gilt ferner nicht für einen Eingriff im Sinne des § 6 Absatz 1 Satz 2 Nummer 2a (die Kastration von männlichen Ferkeln unter 8 Tagen), soweit die Betäubung ohne Beeinträchtigung des Zustandes der Wahrnehmungs- und Empfindungsfähigkeit, ausgenommen die Schmerzempfindung, durch ein Tierarzneimittel erfolgt, das nach arzneimittelrechtlichen Vorschriften für die Schmerzausschaltung bei diesem Eingriff zugelassen ist.
Warum ist es überhaupt erlaubt, Ferkel ohne Betäubung zu kastrieren?
Das ist eine sehr gute Frage, denn die Ferkelkastration stellt im Tierschutzgesetz doch gleich bei zwei Paragraphen eine große Ausnahme dar: zunächst, dass sie ohne Betäubung durchgeführt werden darf (§5 Tierschutzgesetz). Und zweitens, dass sie überhaupt erfolgen darf – denn §6 Tierschutzgesetz besagt, dass das vollständige Entnehmen von Organen eines Wirbeltieres verboten ist. Warum nun die Betäubung bislang nicht erforderlich ist/war, kann ich nur vermuten: man ging lange Zeit davon aus, dass gerade junge Lebewesen, ein geringeres Schmerzempfinden haben als ältere. Gefunden habe ich dazu Folgendes vom Kollegen Ernst-Günther Hellwig, Fachtierarzt für Schweine und Agrarwissenschaftler, AVA:
Wir Tierärzte waren schon froh, als in den 80er Jahren das Kastrationsalter von 6 bis 8 Wochen auf bis höchstens 7 Tage Lebensalter gesenkt wurde. Damalige Versuche haben gezeigt, dass männliche Ferkel bis zum 3. Lebenstag kastriert, kaum Schmerzen leiden, innerhalb einer halben Stunde keinerlei Verhaltensauffälligkeiten in Sachen Schmerz, und im Vergleich zu den Kontrollgruppen, also den weiblichen Saugferkeln, keinerlei Leistungseinbußen zeigten. Natürlich hätte man damals schon Schmerzmittel geben können, dies war aber nirgendwo üblich.
Welche Schmerzen entstehen?
Bei einer Operation haben wir mit mehreren „Arten“ von Schmerzen zu tun. Auf der einen Seite sind da die sogenannten „nozizeptiven“ Schmerzen – das sind Schmerzen, die z.B. durch den Schnitt entstehen: es wird die Haut, Muskeln, Nerven und Gewebe durchtrennt, so dass es zu einem Gewebetrauma während der OP kommt, und das ist schmerzhaft. Auf der anderen Seite sind da die entzündlichen Wundschmerzen, ebenfalls durch das entstandene Gewebetrauma (s.o.), die nach dem Eingriff da sind. Die Crux ist nun, beide Schmerztypen erfolgreich zu „behandeln“.
Allgemeinanästhesie vs. lokale Schmerzausschaltung
Mit einer Allgemeinanästhesie ist eine Vollnarkose gemeint, d.h. die Tiere sind während des Eingriffs bewusstlos. Beim Schwein sind zwei Arten der Vollnarkose möglich: eine Injektionsnarkose oder eine Inhalationsnarkose, d.h. die Tiere bekommen eine Maske, über die sie ein Narkosegas einatmen. Über den Bewusstseinsverlust wird hier eine Schmerzausschaltung während des Eingriffs erreicht.
Lokalanästhetika sind Präparate, die eine Schmerzausschaltung machen können ohne über das Bewusstsein zu wirken = Lokalanästhesie = örtliche Betäubung. Es gibt unterschiedliche Methoden diese anzuwenden. Eine Methode ist die Infiltration, d.h. hier werden nur lokale Schmerzrezeptoren und kleine Hautnerven von der Empfindungsweiterleitung ausgeschaltet. Eine andere Möglichkeit ist eine Leitungsanästhesie. Darunter versteht man die gezielte Ausschaltung bestimmter Nerven bzw. Nervenäste durch Umspritzung mit Lokalanästhetika (z.B. eine rückenmarksnahe Injektion – viele von Euch werden als Beispiel eine „PDA“ kennen).
Schmerzausschaltung oder schmerzlindernd?
Das Tierschutzgesetz schreibt wie oben mehrfach erwähnt eine Schmerzausschaltung während des Eingriffs vor. Zusätzlich müssen vollkommen unabhängig von der Art der Betäubung zusätzlich Schmerzmittel gegen den postoperativen Wundschmerz verabreicht werden. Diese Schmerzmittel können den Wundschmerz nicht ausschalten aber lindern.
Warum findet nun eine Diskussion statt bezüglich des Wortes „Schmerzausschaltung“?
Eine Lokalanästhesie kann natürlich eine vollumfängliche Schmerzausschaltung machen. Dazu muss vor allem die Haut des Hodensackes und der Samenstrang betäubt werden. Hier gibt es jedoch aus Sicht der Wissenschaft noch mehrere Herausforderungen, die es zu meistern gilt:
- zeigen bislang die Untersuchungen, dass die Injektion des Lokalanästhetikums äußerst schmerzhaft ist – kurz gesagt, dass brennt aufgrund des pH-Wertes (in der Studie von Zöls et al. wird die Injektion sogar schmerzhafter als die Kastration ohne Betäubung bewertet), so dass auch hier die Frage nach dem Tierschutz gestellt werden muss
- ist es bei einem Tier extrem schwierig, zu kontrollieren, ob die Injektion „sitzt“ – wir können unseren Patienten nicht fragen, ob er noch etwas spürt
- führen die in bisherigen Studien untersuchten lokalanästhetischen Verfahren maximal zu einer Schmerzreduktion, jedoch nicht zu einer Schmerzausschaltung, so dass die Vorgaben des Tierschutzgesetzes hier nicht erfüllt werden
Gerade der dritte Punkt bringt nun die Diskussion auf das Wort „Schmerzausschaltung“ – muss es denn eine Schmerzfreiheit sein, oder reicht nicht auch eine Schmerzlinderung während des Eingriffes. Hier gehen die Diskussionen sehr auseinander.
Ich persönlich bin der Meinung, dass wir im Bereich Tierschutz keine Rückschritte machen sollten und lehne aus diesem Grund eine Veränderung sprich Verschlechterung des Tierschutzgesetzes hinsichtlich der „Schmerzausschaltung“ ab. Vielmehr sollten wir weiterhin schauen, ob wir mit einer Lokalanästhesie nicht doch noch die Vorgaben erfüllen können – gelingt uns das nicht, sollten wir dieses Verfahren für die Ferkelkastration ad acta legen.
Aber andere Länder haben auch schöne Ferkel…
In Dänemark, Schweden und Norwegen werden die Ferkel unter Lokalanästhesie kastriert, wahlweise mit dem in der EU zugelassenem Wirkstoff „Procain“, in Schweden mit dem in der EU NICHT zugelassenen Wirkstoff „Lidocain“. In Holland geht man derweil den Weg über eine CO²-Betäubung. All dies schafft eine Wettbewerbsverzerrung zu Lasten der deutschen Ferkelerzeuger im europäischen Markt. Daraus sollte nun nicht resultieren, dass unser hiesiges Tierschutzgesetz verändert wird, so dass diese nicht tierschutzkonformen Praktiken legalisiert werden. Es ist doch eher die Frage, ob nicht die Tierschutzkonformität und auch die Anwendung in der EU nicht zulässiger Arzneimittel in diesem Rahmen in den oben genannten Ländern einmal zu prüfen seien.
Langfristige Lösungen
Kurzfristig muss zur Rettung der deutschen Ferkelerzeugung eine Fristverlängerung kommen. Natürlich besteht theoretisch die Möglichkeit, alle Tiere als Eber zu mästen und zu vermarkten. Dafür steht uns einerseits die Jungebermast zu Verfügung, andererseits die Immunokastration. Nur diese Tiere haben leider keinen Absatz. Bei der Kastration unter Betäubung ergeben sich gerade drei Probleme:
- haben wir einen Tierärztevorbehalt, so dass ein Tierarzt die Betäubung durchführen muss – das können unsere Schweinetierärzte schlichtweg nicht leisten.
- gibt es für die Injektionsnarkose zur Zeit kein Azaperon – die Injektionsnarkose ist eine Mischspritze aus zwei Präparaten, wovon eins zur Zeit nicht erhältlich ist.
- ist Isofluran immer noch nicht zugelassen – die Inhalationsnarkose ist neben der Injektionsnarkose die zweite Möglichkeit der Vollnarkose, jedoch ist das Präparat immer noch nicht in Deutschland zugelassen.
Aus diesen Gründen brauchen wir diese Fristverlängerung.
Mittelfristig werden wir die Tiere, die kastriert werden müssen, unter Betäubung kastrieren. Dazu benötigen wir einen Erlass nach §6 Abs. 6 Tierschutzgesetz, so dass die Landwirte nach erfolgreicher Schulung die Betäubung selber durchführen dürfen.
Langfristig jedoch sollten wir daraufhin arbeiten, dass wir komplett aus der Kastration aussteigen. Dieses muss jedoch in europaweit durchgesetzt werden. Und das können die Landwirte nicht leisten. Hier sind die Politik, der Handel und letztendlich jeder gefragt, der Schweinefleisch konsumiert. Denn machen wir uns nichts vor, nur ein unversehrtes Ferkel hat definitiv keine Schmerzen bei der Kastration.